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PSSM - Die "moderne" Kaltblutkrankheit?

 

Aufgrund der derzeit in der Züchterschaft geführten intensiven Diskussion zum Thema PSSM sehem wir uns veranlasst nachfolgende Stellungnahme zu veröffentlichen:

 

Was ist PSSM und welche Rassen sind betroffen?

Polysaccharid-Speicher-Myopathie (PSSM) ist eine das Pferd schwächende bis möglicherweise lebensgefährdende Glykogen-Speicher-Krankheit, die in vielen verschiedenen Pferderassen verbreitet ist. In der Literatur ist zu finden, dass von PSSM besonders ruhige und leichtfuttrige Pferde betroffen sind. Dies sind vor allem Quarter Horses, Paint Horses und Appaloosas, aber auch verschiedene Kaltblutrassen wie Percheron, Belgisches Kaltblut, Bretonisches Kaltblut, Niederländisches Kaltblut, Comtois, Süddeutsches Kaltblut und auch Noriker (Quellen: McCue, Schwarz, Van der Hoven, Larcher).

Die betroffenen Pferde können die mit dem Futter aufgenommenen Kohlenhydrate nicht verwerten und es kommt zu einer Anhäufung anormaler Polysaccharide wie auch zu einer übermäßigen Anhäufung normaler Zuckermoleküle im Muskel. Vereinfacht gesagt, besteht bei diesen Pferden ein Missverhältnis bei der Ein- und Auslagerung der Zuckermoleküle in den Muskelzellen. Dies wird durch eine zuckerreiche, nicht rassengerechte Fütterung und falsche Haltung noch deutlich verschlimmert!

Die klinischen Symptome sind „kreuzschlagähnlich“ und umfassen die gesamte Bandbreite von Bewegungsunlust, Muskelsteifheit, Muskelzittern, wechselnden Lahmheiten, Ausstrecken der Hinterbeine bis hin zur Bewegungsunfähigkeit. Die Probleme beginnen meist nach 10 bis 20 Minuten leichter Arbeit. Die Muskeln der vor allem betroffenen Hinterhand, welche insbesondere bei Kaltblutpferden in der Regel gut ausgeprägt sind, sind oft hart und schmerzen.

Die klinischen Symptome in Zusammenhang mit einer abnormen Glykogenspeicherung wurden schon 1936 von Carlström als Montagskrankheit der Kaltblüter beschrieben. Erstmals  wurde 1992 als Ursache für diese belastungsbedingte Muskelfehlfunktion beim Pferd die PSSM diagnostiziert. Seit diesem Zeitpunkt wurde im Rahmen intensivster Forschungstätigkeit eine Prävalenz von PSSM in 35 unterschiedlichsten Rassen in den USA festgestellt. Im Jahr 2012 wurde ein Gentest für das verantwortliche Krankheitsgen PSSM Typ 1 patentiert. LABOKLIN besitzt das alleinige Untersuchungsrecht für die Typ 1-Mutation in Europa. Neben dieser Typ 1-Mutation, die als Gentest nachgewiesen werden kann, gibt es noch eine Typ 2-Mutation, die ebenfalls für die klinischen Symptome verantwortlich ist. Die Typ 2-Mutation ist mittels Gentest bis dato nicht nachweisbar und hierfür müsste eine Muskelbiopsie durchgeführt werden. Der Gentest für PSSM Typ 1 liefert somit keine 100%ige Diagnostik.

Wie bereits erwähnt, wurden in den letzten Jahren bei verschiedenen Kaltblutrassen DNA-Tests auf PSSM Typ 1 durchgeführt. Die eingangs erwähnten Kaltblutrassen zeigen aufgrund von Stichproben Genanteile von bis zu 80 (!) Prozent. Bei der Rasse Noriker wurde 2012 eine Stichprobe mit 129 Pferden durchgeführt. Diese Stichprobe ergab einen Anteil von Tieren mit dem PSSM Typ 1 von 33%.

 

Wie wird PSSM vererbt?

PSSM wird in einem autosomal-dominanten Erbgang vererbt. Der autosomal-dominante Erbgang ist eine Form der Vererbung, bei der bereits ein defektes Allel auf einem der beiden homologen Chromosomen zur Merkmalsausprägung reicht. Dies bedeutet jedoch auch, dass bereits ein betroffenes Allel (Genotyp N/PSSM1) zu dieser Erkrankung führen kann. Die Wahrscheinlichkeit für diese Erkrankung nimmt zu, wenn das Pferd reinerbig für die Mutation ist, dh. zwei betroffene Allele besitzt (Genotyp PSSM1/PSSM1).

Für die Vererbung von PSSM1 gibt es drei mögliche Genotypen:

Genotyp N/N (negativ): Dieses Pferd trägt die Mutation nicht und wird nicht an PSSM Typ 1 erkranken. Es kann die Mutation auch nicht an seine Nachkommen weitergeben.

Genotyp N/PSSM1 (mischerbig): Dieses Pferd trägt eine Kopie des mutierten Gens und hat ein Risiko an PSSM Typ 1 zu erkranken. Es wird die Mutation zu 50% an seine Nachkommen weitergeben.

Genotyp PSSM1/PSSM1 (reinerbig): Dieses Pferd trägt 2 Kopien des mutierten Gens und hat ein erhöhtes Risiko an PSSM Typ 1 zu erkranken. Es wird die Mutation zu 100% an seine Nachkommen weitergeben.

 

Was ist, wenn mein Pferd PSSM hat?

PSSM ist eine Störung im Kohlenhydrat-Stoffwechsel. Besonders wichtig um hier vorzubeugen und entgegen zu wirken ist die Zusammenstellung der täglichen Futterration. Es sollte grundsätzlich immer ausreichend Grundfutter in Form von Heu zur Verfügung stehen, welches einen möglichst geringen Zuckergehalt (Pferdeheu!) aufweist und eine Mineralstoffmischung mit Vitamin E und Selen. Beim Kraftfutter muss auf eine spezielle kohlenhydratarme Diät geachtet und keine Fertigfuttermittel (Melasse), Hafer oder Leckerlis eingesetzt werden. Wenn ein betroffenes Pferd im Sport geht und deshalb mehr Energie braucht, kann Öl als zusätzlicher Energielieferant dienen. Am besten lässt man sich diesbezüglich von einem Futtermittelfachmann beraten, da es verschiedene Kraftfuttermittel gibt, die speziell auf die Ernährung von PSSM-Pferden angepasst sind oder speziell auf die Lebensumstände des Pferdes eingestellt werden können. So sollte man auch vor der Fütterung des speziell für PSSM-Pferde entwickelten Futters mit hohem Fett- und niedrigem Stärkegehalt auf jeden Fall vorher abklären, ob das Pferd überhaupt Kraftfutter benötigt, denn vielfach sind ohnehin meist leichtfuttrige Pferde betroffen.

Wichtig für PSSM-Pferde ist aber nicht nur die ausgewogene Ernährung, sondern auch die regelmäßig und tägliche Bewegung, die einem Pferd ohnehin gewährt werden sollte. Die erkrankten Pferde sollten sich möglichst viel im Auslauf, auf der Koppel oder im Offenstall und möglichst wenig stehend in der Box aufhalten.

Bei entsprechend ausgewogener Ernährung und artgerechter Haltung können PSSM-Pferde zur regelmäßigen Arbeit herangezogen werden. Es gibt auch Berichte von positiv PSSM1 getesteten Pferden, die sehr erfolgreich im Turniersport eingesetzt werden.

 

Wie wird PSSM1 nachgewiesen?

Der Nachweis von PSSM1 erfolgt durch einen DNA-Test. LABOKLIN hat die exklusive Lizenz für den PSSM Typ 1-Gentest in Europa. Ein DNA-Test ermöglicht den direkten Nachweis der verantwortlichen Mutation für PSSM Typ 1. Die PSSM Typ 2-Mutation kann nur durch eine Muskelbiopsie nachgewiesen werden.

Die DNA-Analyse ist unabhängig vom Alter des Tieres möglich und kann bereits bei Fohlen durchgeführt werden. Für den Gentest werden ca. 0,5 ml EDTA-Blut oder ca. 30 Stück Mähnen- oder Schweifhaare (mit Haarwurzel!) benötigt. Der Test kostet rund 50 Euro. Nähere Informationen erhalten sie bei LABOKLIN (www.laboklin.de), bei ihrem Tierarzt oder zuständigem Landespferdezuchtverband.

 

PSSM und Verkauf?

Zweifelsohne kann ein positiver Test auf PSSM Typ 1 unabhängig davon ob das Pferd tatsächlich Symptome und Einschränkungen aufweist als Wertminderung und in weiterer Folge als Gewährleistungsmangel ausgelegt werden, da eine genetische Mutation von Geburt an vorhanden ist. Zur endgültigen Klärung, ob es sich beim Auftreten von nachweislichen Symptomen tatsächlich um Gewährleistungsmängel handelt oder ob diese in Folge falscher Haltung und Fütterung entstanden sind, müssten wohl Gerichte beauftragt werden. Solche Verfahren sind jedoch meist nur zeit- und kostenintensiv, da diese oftmals über mehrere Instanzen geführt werden müssen.

Um als Verkäufer beim Verkauf eine gewisse Rechtssicherheit in dieser Problematik zu haben, empfiehlt es sich entweder um eine entsprechende vertragliche Vereinbarung mit dem Verkäufer oder im Vorfeld einen PSSM1-Test durchzuführen. Bei der Durchführung des Gentests sollte unbedingt auf eine geordnete und dokumentierte Probeentnahme und –einsendung geachtet werden. Wird weder eine vertragliche Regelung getroffen noch ein PSSM1-Test durchgeführt, so können auf den Verkäufer teure Schadenersatzforderungen zukommen.

 

PSSM und Zucht – Wie reagiert die ARGE Noriker?

Eine sehr einfache, konsequente und nachhaltige Reaktion auf diese Frage wäre, dass alle positiv auf PSSM1 getesteten Tiere (N/PSSM1 und PSSM1/PSSM1) aus der Zucht ausgeschlossen werden. Der Genanteil würde sich in kurzer Zeit reduzieren und das Problem ist aus der Welt geschafft!

So einfach ist es leider nicht. Die 2012 über Unterstützung des Landespferdezuchtverbandes Salzburg an der HLFS Ursprung verfasste Diplomarbeit von Simone Reiter wurde an der Veterinärmedizinischen Universität in Wien ausgewertet. Die damals durchgeführte Stichprobe mit 129 Norikerpferden ergab einen Anteil „erkrankter“ Tiere von rund 33%, also Tiere die einen positiven PSSM Typ1-Test hatten. Auffällig dabei war jedoch, dass bei vielen getesteten Tieren keine klinische Symptomatik bemerkbar war! Die damaligen Schlussfolgerungen ergaben, dass ein Zuchtausschluss der betroffenen Tiere nicht empfohlen wurde.

Ein Genanteil von 33% bedeutet jedoch, dass wir in Österreich über 3.000 „erkrankte“ Noriker haben müssten, wenn wir von einer Gesamtzahl von rund 10.000 Norikerpferden (Zucht, Freizeit und Arbeitseinsatz) ausgehen. Wir haben seit 2002 über 200 Junghengste einer 30-tägigen Leistungsprüfung auf Station unterzogen. Demnach hätten hier ebenfalls rund 70 Hengste Auffälligkeiten zeigen müssen, die jedoch nicht beobachtet wurden!

Ein Genanteil von über 30% bedeutet jedoch auch, dass diese Mutation bereits über Generationen und Jahrzehnten in der Norikerzucht vorhanden ist und vielleicht sogar durch die Berücksichtigung der Leichtfuttrigkeit noch gefördert wurde.

Die Norikerzüchter haben sich im Zuge eines Generhaltungsprogrammes zur Erhaltung der Linien- und Farbenvielfalt der Norikerrasse verpflichtet. Ein Zuchtausschluss von rund einem Drittel würde die genetischen Ressourcen immens einschränken, da es anzunehmen ist, dass es einzelne Linien (Hengst- und Stutenstämme) sowie Farben deutlich überdurchschnittlich trifft.

Die ARGE Noriker beauftragte somit im Jahr 2013 Prof. Gottfried Brem von der veterinärmedizinischen Universität in Wien und Prof. Johann Sölkner von der Universität für Bodenkultur in Wien mit der Vorbereitung eines wissenschaftlichen Projektes zur Erklärung, warum in den meisten Fällen kein offensichtlicher Zusammenhang zwischen einer diagnostizierten PSSM Typ1-Mutation und klinischen Symptomen besteht. Vielleicht liegt die Erklärung in der durch einen Gentest noch nicht nachweisbaren Typ 2-Mutation oder können die einzelnen Pferderassen vielleicht auch nur unterschiedlich gut mit dieser genetischen Mutation „umgehen“? Diese Fragen samt einer Empfehlung für die Zucht hätten in einem Projekt mit Gesamtkosten von rund 250.000 Euro geklärt werden sollen. Eine Finanzierung wäre nur durch überwiegende Beteiligung von Bund und Ländern möglich gewesen, welche jedoch aufgrund der Sparmaßnahmen in den nächsten Jahren keine Mittel bereitstellen. Somit kann dieses Projekt nicht durchgeführt werden und es wird weiterhin nach Antworten und Erklärungen gesucht!

 

Der Vorstand der ARGE Noriker hat zwischenzeitlich beschlossen, dass prophylaktisch alle Hengste, die als Testhengst eingetragen werden sollen und bei der Hengstkörung antreten einen PSSM1-Test vorweisen müssen. Reinerbige Hengste (PSSM1/PSSM1) werden bis auf weiteres nicht zur Körung zugelassen. Bei den gekörten Hengsten wird der PSSM1-Status ausgewiesen.

In weiterer Folge sollen bis zur Decksaison 2015 alle zur Zucht eingesetzten Norikerhengste getestet und der Status ausgewiesen werden, damit diese Informationen allen Züchtern zugänglich sind. Die Umsetzung obliegt den jeweils zuständigen Landespferdezuchtverbänden.

Parallel zu diesen Maßnahmen wird die Wissenschaft mit der Erstellung einer Expertise beauftragt, wie diese Problematik züchterisch unter Berücksichtigung der rassespezifischen Parameter umgesetzt werden kann. Seitens der ARGE Noriker hoffen wir, dass bis zur Decksaison 2015 erste Ergebnisse vorliegen.

Es gilt in weiterer Folge die Empfehlung, dass alle eingesetzten Zuchtstuten einem PSSM1-Test unterzogen werden. Nähere Informationen hierzu erteilt der zuständige Zuchtverband oder Tierarzt.

 

Wie kann der Anteil an PSSM-Tieren reduziert werden?

Bevor über definitive Zuchtausschlüsse nachgedacht wird müssen mit Sicherheit klare wissenschaftlich fundierte Erklärungen und Zusammenhänge vorliegen. Anstrebenswert ist jedoch eine Reduktion der Verbreitung dieses Gendefektes in der Zuchtpopulation ohne dabei wertvolles genetisches Material zu verlieren. Um entsprechende Anpaarungen vornehmen zu können ist es jedoch erforderlich, dass der Genotyp von Stute und Hengst vorliegt.

Als Hilfe für entsprechende Anpaarungen kann nachfolgendes Schema herangezogen werden:

 

Genotyp

 

N/N

(negativ)

N/PSSM1

(mischerbig)

PSSM1/PSSM1

(reinerbig)

N/N

(negativ)

 

100% N/N

 

50% N/N

50% N/PSSM1

100% N/PSSM1

N/PSSM1

(mischerbig)

50% N/N

50% N/PSSM1

25% N/N

50% N/PSSM1

25% PSSM1/PSSM1

50% N/PSSM1

50% PSSM1/PSSM1

PSSM1/PSSM1

(reinerbig)

 

100% N/PSSM1

 

50% N/PSSM1

50% PSSM1/PSSM1

100% PSSM1/PSSM1

 

Zusammenfassend darf bei all diesen Schlussfolgerungen und Vorgangsweisen aber nicht vergessen werden, dass mit diesen Maßnahmen die Selektionsintensität weiter verschärft wird und dass viele Tiere aller Voraussicht nach nicht mehr im Zuchteinsatz sein werden. Mit dieser Vorgangsweise wird nur auf einen Gentest reagiert, der eine genetische Mutation beschreibt, die in der Norikerrasse, wie bei vielen weiteren Kaltblutrassen, vielleicht schon immer vorhanden war und die betroffenen Pferde anscheinend größtenteils problemlos damit umgehen können, wenn sie der Besitzer durch entsprechende Fütterung und Haltung unterstützt.

Der Test auf PSSM1 ist nur ein Gentest auf die genetische Mutation. Ein positives Ergebnis bedeutet noch lange nicht, dass das betroffene Pferd auch tatsächlich erkrankt ist und eine klinische Symptomatik zeigt.

PSSM ist nicht die erste und mit Sicherheit auch nicht die letzte Herausforderung für die Norikerzucht!

An alle Norikerzüchter, welche die Diskussion um PSSM lautstark vorangetrieben haben, darf abschließend noch appelliert werden, dass wir auf Grundlage der vorliegenden Fakten zu unseren Norikerpferden stehen, diese nicht öffentlich herabmachen und die positiven Eigenschaften vertreten sollten!

 

DI Johann Wieser
für den Vorstand der ARGE Noriker

 

 

 

 

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